Handschuhe

Manchmal geschehen Dinge, die einen unvermutet treffen. So geschah es mir gestern. Ich war auf dem Weg zum Bahnhof, um mein Model vom Fotoshooting brav zur S-Bahn zu bringen.
Wir sprachen über Hoffnungen, Wünsche, dies und das, als sie mir unvermutet sagte: “Wenn ich könnte, wäre es mir ein Herzenswunsch Handschuhe zu verteilen.” Ich schaute ihr in die großen Augen. Sie lächelte und bemerkte wohl meinen irritierten Blick. Es ging ihr nicht, um die Kälte als Naturerscheinung, sondern um die Kälte unter den Menschen. “Ich sehe immer die alten Leute am Bahnhof in Leipzig, die sich ein paar Euro verdienen wollen. Sie suchen nach Flaschen, durchwühlen die Papierkörbe, in denen Fixerbestecke und Spritzen sind.” Ich war erstaunt, hätte ich doch über diesen Umstand nicht einen einzigen Gedanken verschwendet. Mir geht es gut, ich brauche die Flaschen nicht und auch mein hübsches Model kommt nicht auf die Idee, sich ihren Unterhalt so zu verdienen. Doch macht sie sich einen Kopf darum! Es sind manchmal die profanen Dinge im Leben, die einen berühren, für den anderen aber nichtssagend sind. Wir posten Zitate über persönliche Seelenzustände, sind hungrig auf Likes und Anteilnahme und vergessen die Leute, die auf der Straße leben müssen oder auch wollen. Es hat mich dieser Gedanke der verschenkten Handschuhe seltsam berührt. Es ist fast eine Metapher in einer Welt, die nur noch aus viel Ich sein besteht. “Wenn du das Bedürfnis auch mal hast, können wir zusammen verteilen.”, lächelte sie. Ich sollte ernsthaft drüber nachdenken.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert