Der Wunsch

Der alte Mann liebte diese Morgen an seinem kleinen See. Schilf, Enten, Schwäne, viel Ruhe. Wenn der Nebel beim Aufgang der Sonne dazukam, war es Zeit sich seinen Gedanken widmen. Er nannte es insgeheim Kopfrauschen. Er hätte viel zu erzählen gehabt, wenn es noch jemanden geben würde, der ihm zuhört. Seine Frau war gestorben, er war im Rentenalter, sprach höchstens noch mit seinem Hund. Das Erfrischendste in seinem Leben war ein Eis, das er sich alle zwei Tage gönnte, ansonsten war menschliche Kälte sein Lebensinhalt. Ein wenig Wärme empfing er durch seine 3D Gestalten, die im nach über 65 Jahren Leben geblieben waren und dieser See. Der alte Mann war zeit seines Lebens rührig, hatte so manche Spur hinterlassen, aber die Spurenträger lebten ihr eigenes Leben. In mehreren Vereinen war er gewesen, viel hatte sich verändert. Egal, wie hart er arbeitete, die Zeit war gegen ihn. Die einen starben weg, die anderen entwuchsen dem Vereinsleben. Die besten Freund verstreuten sich in alle Winde, waren jung an Jahren und hungrig nach Leben. Er hatte alles getan, um diesen Prozess aufzuhalten und spät bemerkt, dass er den Prozess gar nicht aufhalten konnte.  So blieb am Ende eine Katze, seine Vergangenheit, seine 3D Bilder. Irgendwann resignierte er und empfand alles nicht mehr wichtig. Natürlich wusste er um sein Selbstmitleid, aber wenn er denn im Wohnzimmer saß, freute er sich auf ein paar kurze Gespräche mit seinen Freunden über Telefon oder WhatsApp. Er schmückte sein Arbeitszimmer immer noch mit den Bildern der Vergangenheit und fand eine Atmosphäre mit Kerzen erotisch. Der alte Mann lachte auf. Erotisch, so ein Unsinn.

„Onkel. Warum lachst du?“ Ein kleines Mädchen zupfte an seinem Mantel. Neben ihr stand wohl die Mutter und zuckte lächelnd mit den Schultern. „Ich hab gerade daran, als ich mal jünger war. Da hatte ich eine unbändige Lust zu leben“, tippte er mit dem Finger auf die Nase der Kleinen „…und zu lachen.“ „Und das ist vorbei?“, fragte die Mutter beinah besorgt. „Nein, nein“, versicherte der Alte, „Wenn man dem Horizont des Lebens begegnet, ist es manchmal schwierig, da sind dann nicht mehr viele da, mit denen man unbändig leben kann. Die Knochen sind nun mal alt.“ „Schau mal“, quietschte das kleine Mädchen und schaute zum See, „der Schwan, er kommt auf uns zu.“ Der alte Mann griff in die Tasche seines Mantels, holte ein Stück altes Brot heraus und gab es dem Mädchen. „Hier probiere mal, er wird es lieben.“ Das Mädchen lachte und warf dem Schwan kleine Stückchen hin, der ihr ganz nahekam. Der alte Mann trat zurück und beobachtet die Szene. Die beiden waren vertieft in die Fütterung und hatten ihn bestimmt schon vergessen.  „Wie in dem Video“, plapperte das kleine Mädchen, „da haben die Tiere die Menschen gerngehabt. „Ja, ich weiß“, sagte die Mutter, „den Puter, den riiiesigen Wal, das Nilpferd“. Die Mutter machte dicke Backen und beide lachten. Der alte Mann erinnerte sich wieder und vergaß dabei, dass er gar keine Kinder hatte. Er konnte sich gar nicht erinnern und fühlte die morgendliche Kälte. Ein Tier müsste man sein, überlegte er, dann hätte man einige Streicheleinheiten. Er hatte das genannte Video gesehen, hatte es abgeschalten, weil es ihn nicht interessierte. Er wusste, dass diese Aussage eine Lüge war, aber   er wollte nicht seinen Gefühlen unterlegen sein, das hatte ihm noch nie genutzt. Der Wunsch durchdrang ihn aber sofort. Es war ihm unangenehm. Das kleine Mädchen streichelte dem Schwan den Kopf, was dieser sich merkwürdigerweise gefallen ließ. Vielleicht war er ja auch einsam.

Das Mädchen schaute sich um. „Schau mal Onk… Wo ist denn der Opa?“, fragte sie verwundert. Die Mutter zuckte mit den Schultern. „Oh, den hab ich ganz vergessen. Bestimmt ist er nach Hause gegangen, oder zu seiner Frau und zu seinen Kindern. Er schien ja kinderlieb. Wer weiß?“ „Und warum hat er seinen Hut liegen lassen?“, fragte die Kleine. Sie wollte nach ihm greifen, doch die Mutter war schneller und hob ihn auf. Im selben Moment schrie sie entsetzt auf, so dass sogar der Schwan floh. „Iiih, eine hässliche Kröte, fass die bloß nicht an. Die können giftig sein.“ Mit einem Fußkick beförderte sie das Tier in den Teich. „Leben Kröten im Teich?“, fragte die Kleine und schien traurig. „Weiß ich nicht! Komm lass uns nach Hause gehen, wir hatten ja den schönen Schwan. Das war doch toll, oder?“ „Das erzähl ich Vati“, jubelte die Kleine.

Die Kröte, war längst aus ihrem Teich herausgesprungen. Sie erinnerte sich. Das konnte sie am besten. Sie war allein, auch das war sie längst gewohnt. Sie suchte sich ein warmes Plätzchen und vergaß bald, wer sie einst war.

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