Die Blondine wippte bedächtig mit dem Fuß. Sie hat ein niedliches Fußkettchen, dachte Chris und malte sich einige Posen aus, die sie vor seiner Kamera machen würden. Ein Detailfoto des Kettchens mit dem Fuß war schon ausgemacht. „Sagen Sie“, ihr Fuß hörte auf zu wippen, „was ich mich schon die ganze Zeit frage, wo haben Sie ihre ungewöhnliche Narbe auf der Stirn her? Die sieht aus wie ein, ein…“ Chris lächelte, wischte sich unbewusst über die Stirn, spürte den weichen Huckel und fragte gedehnt: „Huufeiisen?“ Die Blondine nickte etwas pikiert, es schien ihr peinlich zu sein. Chris winkte ab, „Ach was, das fragt mich jeder. Ich bin mit dem Motorrad gestürzt und dabei habe ich mir diese Blessur geholt. Es ist nichts weiter. Darum nennen mich meine Freunde auch Huffi.“ Chris nahm einen kräftigen Schluck Kaffee, während die Blondine an ihrem Sektglas nippte. Ihr Fuß wippte wieder. Sie machte auf dem Barhocker eine gute Figur. Das Licht im Café war etwas diffus und zauberte auf ihrem Gesicht ein kleines Schattenbild. Chris lachte kurz auf. „Es ist, als ob ich von einem Minipferd getroffen wurde. Nee, im Ernst, ich war allein, als es passierte und in einem abgelegenen Wald. Es dauert ein wenig bis zum Krankenhaus. Deshalb die Narbe.“ Die Blondine nickte zufrieden, mehr wollte sie auch gar nicht wissen. „Gut, dann sind wir uns einig. Ich bekomme 12 Bilder, hier ist die Adresse, wo wir uns zum Outdoor-Shooting treffen.“ Chris nahm den Zettel, während er ihr den TFP Vertrag herüberschob, den sie sogleich studierte. Als er die Adresse sah, erstarrte er. Seine Kehle schnürte sich zu. Genau dort geschah es einst. Chris tauchte tief in seine Gedanken ein und sah alles, als ob es erst gestern war. Gestern vor genau 12 Jahren, als er die Koppel unter dieser Adresse betrat.
Chris betrat durch das große Eisentor die Koppel, die etwas außerhalb des kleinen Dorfes lag. Der Morgen war noch diesig, die Sonne brach glutrot aus dem Osten in den Tag. Die Besitzerin wollte noch jeden Moment nachkommen. Sie musste Wasser für die Tiere mit ihrem Traktor holen. So konnte er sich umsehen. Irgendwo ganz hinten standen ein paar Wallache, darunter ein sehr großes Tier. Ein Riese, dachte er. Chris hatte keine Ahnung von Tieren, schon gar nicht von Pferden. Wozu sollte er auch etwas über Pferde wissen. Ein Tier wie jedes andere. Schließlich sollte er nur ein paar Fotos für die Besitzerin schießen. Natürlich hatte er ihr gegenüber sein Unwissen verheimlicht, schlimmer noch sich als Pferdekenner ausgegeben. Er wollte ja nicht reiten, noch das Pferd unbedingt anfassen.
Der große Wallach bei der kleinen Herde, schien den Fremden zu bemerken und kam langsam auf Chris zu. Irgendwie wuchs das Tier mit Näherkommen. Chris sah die weißen Haarbüschel, die die Hufen verdeckten. Der mächtige Körper schaukelte gemächlich. Im Gras lag eine vergessene Reitpeitsche, die Chris sich erst mal sicherheitshalber griff. Irgendwie war er wie festgenagelt.
Der Wallach stand plötzlich vor ihm und musterte Chris, der sich in die Peitsche verkrampfte. Das Tor war hinter ihm zu. Er hätte es auch nicht öffnen können, weil es ausladend war. Dazu müsste er erst den Riesen nach hinten wegdrängen. Doch das war bei der schieren Körpermasse unmöglich. Der Wallach schubberte an ihm herum und zog eine Tüte aus seiner Tasche, wo wohl noch Brötchenkrümel vom schnellen Frühstück am Bäcker drin waren. Der Pferdekopf war bedrohlich groß und der Wallach kam ihm viel zu nah und drängelte Chris ans Tor. Er wusste nicht, was er tun sollte, noch hatte er eine Ahnung, was das Tier von ihm wollte. Plötzlich erinnerte er sich an die Reitpeitsche in seiner Hand und schlug heftig zu. Es klatschte auf dem Pferdekörper. Der Wallach sprang hoch, drehte sich um die eigene Achse, erwischte Chris mit dem Hintern und schleuderte ihn zu Boden. Dann galoppierte er davon und blieb im nächsten Moment aber abrupt stehen. Langsam drehte er sich zu Chris und senkte den Kopf, fast so als ob er nachdachte. Mit angehobenem Schwanz und angelegten Ohren musterte er Chris, der wie gelähmt am Boden lag. Der Wallach schnaubte, scharrte kurz auf dem Boden und galoppierte auf Chris zu, dann ging er vor ihm mit den Vorderfüßen hoch. Chris sah die riesigen Hufen auf sich zukommen und spürte eine rasenden Schmerz. „Das wars“, durchzuckte es ihn.