Unser Minizoo an der Schule existierte von 1987 bis 2009. 1989 kam ich an die Heine Schule und brachte meinen Minizoo mit mehreren Terrarien auf dem Handwagen aus meiner ehemaligen Schule (25. POS, Friedrich-Engel), mit, die heute nur noch ein Parkplatz ist. In dieser Schule war der Biologie Raum mein Reich. Kein Lehrer wollte in diesem Raum Unterricht oder Vertretung machen. Die gesamte Wand neben der Tafel hatte Regale mit Terrarien. Dort gab es Hasen, Meerschweinchen, Ratten, Mäuse. Die machten, was Tiere halt so machen, hoppeln, laufen, springen, quietschen, Möhren raspeln, Brot knuspern und nun ja, es roch nach Tier. Das waren Großstadtkinder und -lehrer nicht gewohnt. Einige Kollegen monierten den Geruch, einige die „ekligen“ Tiere, aber am schlimmsten empfanden die meisten das Gewusel. „Die Schüler gucken nur zu dem Viehzeug… Normaler Unterricht ist nicht möglich. Tiere gehören nicht in die Schule.“ Zu der Zeit ging es nicht um Naturschutz, sondern um die eigenen Bedürfnisse. Wie auch immer, ich setzte mich durch, hatte die Wand, meine Tiere, meine Ruhe und meine eigenen Schüler waren das durchaus gewöhnt. Wir sprachen halt darüber. Es waren fast alles Tiere, die schon ein gewisses Alter auf den Buckel hatten und teilweise ausgesetzt waren. Außerdem hatte ich eine AG „Tierpflege“, so wurde das ganze irgendwie doch toleriert. Beim Umzug in die heutige Heine Schule, war man über die Aufstockung des dortigen Minizoos begeistert. Man hatte schon zwei Jahre zuvor eine eigene Ecke eingerichtet, in die ich mich integrierte. In einen Klassenraum durfte aber kein Terrarium aufgestellt werden. Ein Aquarium konnte ich mir aber nicht verkneifen.
Doch nun zur Geschichte an sich, die sich kurz vor besagtem Umzug abspielte. Meine Mentorin, eine ältere Grundschullehrerin mit fast weißem Haar, die mich aus irgendeinem Grund ins Herz schloss, unterstützte mein Projekt an der alten Friedrich-Engels-Schule, wo ich seit 1985 den Schülern vorgesetzt wurde und besagte AG gründete. Ihre sanfte Art beruhigte mein wildes Ich und den Choleriker in mir. Sie schaffte es schnell mich auf Null zu schrauben, was nicht immer einfach war. Die Welt war halt ungerecht und ich mittendrin. Wie auch immer, passierte es damals, dass meine 8 Mäuse ausbrachen. Ich könnte jetzt behaupten, ich weiß nicht wie es geschah. Aber ich weiß eben auch, dass ich mich leicht ablenken lasse und so manches halt offenblieb. Irgendwas muss man ja mit seinen Schülern gemeinsam haben.
Am nächsten Tag meldeten mir Schüler aufgeregt, dass Mäuse durchs Schulhaus flitzten, so zehn bis zwanzig Stück, wie der Hausmeister meinte. Das war natürlich weit übertrieben, änderte aber nichts daran, dass meine Tierchen eben weg waren. Alle 8 Mäuse, mehr waren es nun mal nicht. Also log ich den Hausmeister wahrheitsgemäß an: „Meine können es nicht sein, ich habe nur acht!“ Aus irgendeinem Grunde glaubte er mir und kontrollierte nicht weiter. Meine Minizooleute hatte ich längst angewiesen, sie sollen heimlich Ausschau halten und die Viecher einfangen und keinem etwas sagen, sonst müsse der Minizoo geschlossen werden. Obwohl das meine zweite Sünde war und ich wieder log, konnte ich mich auf meine Truppe verlassen und sie hatte die ausgebrochene Bagage bald eingefangen. Sie ließen sich die absonderlichsten Sachen einfallen, um den Unterricht zu verlassen und auf Suche zu gehen. Eine musste zum Sekretariat und etwas Dringendes abholen, einem zweiten wurde wahnsinnig schlecht, ein Dritter hatte seine Mutter herbestellt. Ein weiterer hatte eine Maus in seinem Klassenzimmer gesehen, sie sich schnell gegriffen und in seinen Ranzen bugsiert. Eine ganze Mathestunde beschäftigte er sich heimlich mit dem Tierchen in der Tasche und teilte mit ihm sein Frühstücksbrot. Schnell hatten wir alle 7 eingefangen. 7? Ach du liebe Zeit, eine fehlte, eine wunderschöne weiße Maus. Der Hausmeister hatte sie aber inzwischen leider gesehen und verdächtigte mich natürlich. Welch absurde Idee! Ich zeigte ihm das Terrarium an dem stand „8 Mäuse (1,7)“, was bedeutete eine Männchenmaus und sieben Weibchenmäuse wohnten hier. Ich zählte sie ihm vor und da Mäuse sehr schnell sind, konnte ich eine Maus zweimal zählen. Also konnte logischerweise die von ihm gesichtete Maus nicht aus meinem Minizoo stammen. Gut das war die dritte Lüge und ich nahm, die Hölle in Kauf. Doch wo war nur die verflixte weiße Maus?
Inzwischen war Ingrid Z., meine Mentorin, mit ihrer fünften Klasse von einer Wanderung wiedergekommen. Die Kinder standen vor der Klassenraumtür und zappelten ein wenig herum. Mahnend hielt Ingrid den Zeigefinger in die Luft. „Wir müssen jetzt ganz leise in den Raum gehen“, sagte sie in ihrem typischen Grundschullehrerton. „Der Lauteste von euch verwandelt sich nämlich sonst in ein Mäuschen!“, sprachs, machte die Tür auf und starrte auf ihren Lehrertisch, wo eine weiße Maus brav saß und sich putzte.
Ingrid alarmierte mich und ich machte auf den Schreck eine Mäusestunde sehr zur Freude der Kinder. Sie nahm mich später ins Gebet erzählte mir das ich sorgfältiger sein müsse, manche meinen Minzoo nicht so gut fanden und ich nicht all das Gute was ich tat nicht mit dem Hintern einreißen sollte. Im Prinzip die üblichen Ermahnungen, die mich schon immer begleiteten. Doch bei Ingrid kam noch ein verschmitztes Lächeln hinzu und als ich ging sagte sie noch: „Aber eigentlich bin ich der Maus dankbar.“ Mein weißes Mäuschen bekam an diesem Tag eine Sonderportion und ich sonnte mich bei diesem versteckten Lob.