Das Mäusefell

Es war Sommer. Es war warm. Die Lehrer der Heinrich-Heine-Schule in Feierlaune. Der Hausmeister grillte, Tische waren aufgebaut, die Ferien standen bevor und man saß zusammen, verabschiedete das Schuljahr, wie man es immer am Ende tat. Der Sekt floss, es wurde geredet, vor sich hingedacht, der Tag war schön. Ich bin nicht so sehr der Feierer, musste mich auch um unseren Minizoo in der Schule kümmern. Dort warteten Hasen, Meerschweinchen, eine Schlange, Papageien, Mäuse, Ratten und Hamster auf ihr Futter. In dieser tierischen Vielfalt war ich Mensch, dort konnte ich sein. Ich war das tierische von zu Hause gewöhnt, hatte doch auch dort allerlei Getier auf dem Balkon und in diversen Terrarien. Es war meine kleine Welt, die es heute so nicht mehr gibt, aber im Kopf noch immer frisch ist. Manchmal hatte man dann auch seine Erlebnisse, ob zu Hause oder in der Schule.

Unser Hausmeister dort war ein lieber Kerl. Den Minizoo betrachtete er mit skeptischem Auge. Das ganze Viehzeug war ihm nie geheuer, der Minizoomann wohl auch nicht. Es gehörte seiner Meinung nicht an die Schule. Er misstraute allem, was nicht mit ihm sprach. Und das traf seiner Meinung nach auf die Tiere zu.
Das wäre nicht so sehr bedeutsam gewesen, wenn bei ihm nicht auch eine gehörige Portion Aberglaube dazugehörte. Nun trug es sich zu, dass unser Minizoopfleger das Wunder der Geburt bei einem seiner Meerschweinchen an diesem Tag entdeckte. Die beiden kleinen Knäuel mussten den Tag zuvor geboren sein, waren trocken und rannten als Nestflüchter eiligst durch die Gegend. Wer solch kleine Knirpse mal sieht und ihre kuschelige Wärme spürt, weiß das Mutter Natur großartiges vollbrachte. Da ich normalerweise ein kommunikativer Mensch bin, wollte ich die beiden Geschwister unbedingt einer Kollegin zeigen, die Tiere sehr mochte. Also nahm ich die Kleinen vorsichtig an mich und brachte sie besagter Kollegin. Sie erschrak sich im ersten Moment ein wenig, als ich ihr die Wollknäuel unter der Nase hielt und juchzte wohl auf. Dann aber leuchteten ihre Augen. „Oh ist das schön“, entfuhr es ihr und sie streichelte sich über den Bauch, der sich schon sichtbar wölbte. Dieses Wunder der Natur teilte sie wohl bald mit der Welt, ebenso wie die Meerschweinmutter. Damit wäre eigentlich die Geschichte schon zu Ende, wenn da nicht unser Hausmeister mit großen Augen die Szene beobachtet hätte. Ich, der Minizootierpfleger ahnte nichts davon, noch weniger von seinen Gedanken und brachte die beiden Meerschweinchen zu ihrer Mutter zurück.
Ich setzte mich zu den Kollegen und sinnierte vor mich hin, als der Hausmeister zu mir trat. Er druckste ein wenig herum. „Warum hast du die Tiere Angela gezeigt?“, fragte er leise, fast im Flüsterton. Ich starrte ihn an. „…weil sie Tiere mag, ein bisschen schwanger ist…“ Sein Gesicht verfinsterte sich: „Eben.“ Ich verstand gar nichts und ließ ein gedehntes „Ja und“, hören. „Na das kannst du doch nicht machen,“ wurde er plötzlich lebhaft. „wenn schwangere Frauen sich vor Ratten erschrecken, bekommen die Kinder ein Mäusefell.“ Mahnend erhob sich sein Zeigefinger. „Das waren Meerschweinchen, keine Ratten und außerdem ist es Aberglaube“. Unser Mystiker ließ sich von meiner Bemerkung nicht beeindrucken und schilderte mir in allen Farben, was alles passieren könnte, wenn man Frauen mit Felltieren erschrickt. Ich war ob seiner plötzlichen Mentalität überrascht. Vor mir sah ich eine zerlumpte Gestaltung aus dem Mittelalter, im Hintergrund waren grollende dunkle Wolken, eine schwarze Katze lief von links nach rechts. „Du spinnst ja“, unterbrach ich seinen Redeschwall. Jäh brach das bedrohliche Bild des Mäusefelluntergangs zusammen und beleidigt zischte er: „Du wirst schon sehen.“

Später brachte die Kollegin ein gesundes Baby zur Welt, ohne Mäusefell. Ich sprach ihn darauf an und er zuckte nur die Schultern: „Hätte ja sein können.“ Gott war ich froh, dass Mutter Natur ein Einsehen hatte und für diese Kind kein Mäusefell vorgesehen hatte.

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