„Mein Gott ist das heiß.“, stöhnte sie und stützte sich auf ihre Hacke. Sie sah sich nach Frank um. Der grub noch immer hinter der Laube die Erde um. Sie konnte ihn gerade nicht sehen. „Wie weit bist du eigentlich?“, schrie sie so laut sie konnte. Immerhin betrug die Entfernung einige Meter und ihr Garten war verdammt lang, wenn auch nur einige Meter breit. Seit sie das Einfamilienhaus gebaut hatten, verbrachten Frank und Waltraud fast ihre gesamte Freizeit hier. Sie hatten alles, was das Herz und die Bequemlichkeit begehrte, von Kindern einmal abgesehen. Der Garten war ihr Ausgleich. „Waltraut, komm doch einmal her!“, brüllte Frank. Seine Stimme klang beunruhigend. Sie ließ ihre Hacke fallen und eilte behände zu ihm. Frank stocherte auf dem Boden herum und betrachtete ihn nachdenklich. „Was ist los?“, fragte sie ihn etwas atemlos. Frank schaute sie seltsam an und sie fuhr unwillkürlich erschrocken zurück. In seinem Gesicht spiegelte sich die blanke Angst. Er fuhr sich nervös durch die Haare. „Ameisen.“, sagte er so lakonisch es ihm möglich war. „Aber die haben wir doch ausgerottet. Seit zwei Jahren streuen wir dies Zeugs.“ „Ich habe mit ihnen gesprochen.“, sagte er, als sei es die natürlichste Sache der Welt. „Was?“, Waltraut traute ihren Ohren nicht, „Das ist doch nicht dein Ernst.“ Sie blickte zur Bank, auf der noch die Bierflaschen standen. Seine Blicke folgten ihr. „Ich bin nicht betrunken.“, seine Stimme klang belegt und resignierend, „Sie waren zu Tausenden hier, standen einfach so da, in einer Reihe, aufgeschnürt wie eine Armee.“ … und dann sprach eine Stimme. Sie schien dort aus der Erde zu kommen.“ Unbestimmt bohrte er mit der Schuhspitze irgendwo in der Erde herum. „Mensch“, sagte die Stimme, “Hier spricht die Königin der Ameisen. Die Königin, verstehst du. Ich dachte zuerst an einen Scherz, versteckte Kamera und so, aber als ich mich umdrehte, war der Boden schwarz von Ameisen. Sie hatten mich förmlich eingeschlossen. Die Stimme sprach also weiter. Menschenkind, sagte sie, viele Millionen Jahre nach den ersten Insekten seid ihr aus der Gemeinschaft der Tiere ausgetreten und habt euch angemaßt Schöpfer der Erde zu sein. Ihr habt eure eigenen Gesetze gemacht, wider und wider die Natur. Ihr baut euch Existenzen auf, umgebt euch mit lächerlichen Dingen, die wir nicht verstehen. Ihr rottet aus, was euch nicht genehm ist, um eure ungeheure Gier zu befriedigen. Ihr habt uns erforscht und euer geniales Gehirn hat festgestellt, wir hätten keine Vernunft. Ihr teilt uns ein in schädlich und nützlich und glaubt euch wertfrei. Nie kam es euch auch nur annähernd in den Sinn, dass wir ein gleichberechtigtes Volk dieser Erde sind. Du und deine Frau habt uns auf diesem Boden, wo wir seit Ameisengedenken wohnen, ausgerottet, bis auf ein Pärchen, die Königin und eine Ameise. Entgegen eurer Forschung konnten wir unser Volk wieder zum Leben erwecken. Jetzt ist die Zeit gekommen, euch aufzufordern, endgültig zu gehen, so ihr es nicht bereuen wollt. Haltet es für keinen Scherz, auch wir können kämpfen ohne Gnade… Ja, und dann brach die Stimme ab und ich erwachte wie aus einem Traum.“ Frank schwieg betroffen. „Und die Ameisen?“, fragte Waltraut vorsichtig. „Die waren mit einem Mal verschwunden, einfach weg.“, Frank schaute wie irr in der Gegend herum. Waltraut umarmte ihren Mann sanft, „Du bist überspannt, beruhige dich, die Sonne, die Arbeit war vielleicht ein wenig zu viel für dich. Du bist wohl eingeschlafen und hast schlecht geträumt.“ Frank nickte nur. Vorsichtig begleitete sie ihn zu ihrer kleinen Bank. Waltraut streichelte zärtlich sein Haar und wartete bis er eingeschlafen war. Schließlich erhob sie sich, zündete sich eine Zigarette an und ging nachdenklich zu ihrem Beet zurück. Über die Platten vor ihr lief eine Ameise im Zick-Zack. Sie schien sich verirrt zu haben. Waltraut beobachtete sie interessiert. „Dummes Viech.“, dachte sie und beugte sich herab. Waltraut hielt ihre Zigarette dicht über die Ameise, die verzweifelt versuchte zu fliehen. Es gelang ihr nicht. Die Hitze versengte das kleine Ding unbarmherzig und drückte sie zu Boden. Der Leib krümmte sich, bis er zu einem schwarzen Haufen verschmolz. „Na bitte“, zufrieden ging Waltraut weiter. Plötzlich hörte sie einen grässlichen Schrei. Es war Frank. Waltraut ließ die Zigarette fallen und eilte zurück. Ein schrecklicher Anblick bot sich ihr. Frank lag mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Boden. Waltraut schrie auf und stürzte zu ihm. Er war tot, das gesamte Gesicht, die Arme, die freie Brust mit winzig kleinen roten Punkten übersät. Es war Blut. Waltraut begriff gar nichts. Sie beugte sich vorsichtig über Frank. Die rechte Hand lag zur Faust geballt auf der Brust. Waltraut öffnete vorsichtig seine Finger… Eine kleine Ameise krabbelte über den toten Körper auf den Boden und verschwand in einem winzigen Loch….
Juli 1981